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Hüben wie drüben

Lustige und weniger lustige Kleingeschichten

Inhalt

Vorwort

Andrej

Andrej Levin, den ich bereits im Aufnahmelager für Aussiedler kennengelernt hatte, war ein lustiger Kerl. Besonders wohl fühlte er sich in gemütlicher Runde, nie hätte er ein Glas Bier oder ein Gläschen Wodka ausgeschlagen, und bei Anekdoten und Geschichten aus seiner gar nicht so langen Biographie, die er mit unnachahmlichem Witz darbot, ließen sich die Zuhörer in Lachkrämpfen winden.

Die Formalitäten bezüglich der Übersiedlung nach Deutschland dauerten ewig. Tagsüber zogen wir von einem Verwaltungsbüro zum anderen, fühlten Hunderte von Formularen aus und beantworteten Tausende Fragen; abends trafen wir uns auf dem Vorplatz des Heims oder in der Lagerkneipe, wo die zukünftigen Bürger Deutschlands der verlorenen Heimat nachtrauerten, in der Hoffnung hier eine neue zu finden, wobei deren Optimismus sich in Grenzen hielt.

Einmal fragte ich Andrej, ob er schon mal versucht hätte, seine Geschichten aufzuzeichnen, Novellen zu schreiben, etwas zu veröffentlichen. Doch, hatte er, es habe aber nicht geklappt. Das, was so belustigend und packend bei einer mündlichen Darbietung herüberkam, erschien, aufs Papier gebracht, fahl, uninteressant, ja, einfach leblos.

Ich schlug Andrej vor, sich zusammen mit mir in die Schriftstellerei zu wagen. Nach dem Motto: er erzählt – ich schreibe. Ich verfügte bereits über einschlägige Erfahrungen: von mir wurden seinerzeit ein paar Artikel für eine Studentenzeitung verfasst, außerdem war ich Preisträger eines Literaturwettbewerbs der Kinderzeitschrift „Mursilka“, woraus ich für mich das Recht beanspruchte, mich als jungen Schriftsteller zu bezeichnen.

Andrej willigte sofort ein und wir stürzten uns auf die Arbeit. Wir sind bis heute befreundet, und immer wieder wundere ich mich darüber, wie er alle möglichen unglaublichen Geschichten und Abenteuer anzieht, die er ständig auch in Deutschland erlebt.

Besondere Wünsche hatte Andrej nicht geäußert, er bat nur seine Version der Kurzbiographie aufzunehmen, die er wie folgt verfasste:

Andrej Levin, geboren und aufgewachsen in Sibirien, wo er auch erste Lektionen in Sachen Wurstigkeit erteilt bekam. War kein Mitglied, wich nach Möglichkeiten aus, war nicht einverstanden. Schauspielerisch begabt, musikalisch ausgebildet. Alle Versuche, Anerkennung auf dem Gebiet der Musik zu erlangen, scheiterten, was sich negativ auf seine Gesundheit auswirkte. Dank einer großen Zahl von Ärzten in der Verwandtschaft hält er noch durch.

Ich hatte keine Einwände und so machten wir uns an die Arbeit.